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Lauf-Treff Buchs SG

New York City Marathon 2012

18.11.2012 Laufbericht
New York City Marathon 2012

Bernhard Vögeli

Die Faszination vom New York Marathon ist gross und gibt es in der Stadt vieles anzusehen. Daher dachte ich mir, aller guten Dinge sind drei und habe mich nochmals zur Reise nach New York an den Marathon entschlossen. Dann waren am Dienstag nach dem Rennen auch noch die Amerikanischen Präsidentenwahlen, die Gelegenheit, sie vor Ort zu erleben. Ich hätte nie gedacht, dass ich einen Reisebericht mit dem Aufhänger „New York Marathon cancelled“ schreiben würde. Zwar hatte bereits vor einem Jahr ein Schneesturm genau eine Woche vor dem Marathon die Stadt praktisch lahmgelegt und zu Stromausfällen geführt. Wegen der ausserordentlichen Ereignisse, ist der Bericht länger als geplant geworden.

Sicher verfolgten alle Marathonis die Wetterentwicklung an der Amerikanischen Ostküste. Der Hurricane „Sandy“ sollte am Dienstagabend Lokalzeit in der Gegend zwischen Washington D.C. und New York auf die Küste treffen. Der etwas abgeschwächte, aber immer noch starke Sturm traf leider genau auf die Stadt New York. Würde der Marathon überhaupt stattfinden? Die New Yorker werden alles tun, um das Rennen durchführen zu können, denn wie Michael Bloomberg, der Bürgermeister nach der Absage sagen sollte „New York is the Marathon and the Marathon is New York“. Wenn das auch übertrieben sein mag, es zeigt den Stellenwert des Marathons. Er hat nicht nur wirtschaftlich eine grosse Bedeutung, sondern auch ideell.

Nicht nur ich reiste am Freitag nach dem Big Apple mit der ziemlich grossen Gewissheit, dass der Marathon stattfinden würde. Ans Alternativprogramm mit mehr Museumsbesuchen und anderen Sehenswürdigkeiten verschwendete ich keine Gedanken mehr, dachte an die 2 Millionen frenetischer Zuschauer und an den vorausgesagten kühlen und ziemlich starken Wind, leider grösstenteils genau aus der Gegenrichtung zum Lauf.

In New York, kaum im Bus vom Flughafen zum Hotel, erhielten wir dann die Mitteilung, dass der Marathon stattfinden werde. Wir hätten Glück, alles klappe wieder fast unglaublich gut. Eine andere Gruppe aus der Schweiz hingegen müsse sich mit einem schlechteren Hotel zufrieden geben, denn da drohe der Auslieger eines Krans aus 300m in die Tiefe zu stürzen. Nicht wirklich zu unserem Bedauern war noch ein Tunnel gesperrt, so dass wir mit dem Bus die Queensboro Brücke passierten, für viele Marathonis eine der Schlüsselstellen des Laufs.

Kaum im Hotel angekommen machte ich mich mit einigen andern aus der gleichen Reisegruppe zu Fuss auf den Weg, um die Startnummer abzuholen. Hier klappt alles wieder wie am Schnürchen und wir werden freundlich bedient. Wir haben unsere Startnummern und gehen in den aufgebauten riesigen Markt für Running Kleider und Accesoires. Ich will die Spezialausführung, New York Marathon 2012, meiner Laufschuhe kaufen; die muss ich einfach haben. Nun spricht uns ein Läufer an – er hält sein Handy in der Hand: „It’s cancelled, the marathon is cancelled, I just read it on ABC – it’s really true“. Ich kann‘s nicht glauben und sage, das geht doch um die offizielle Eröffnung heute Abend (war eh nicht so toll vor 1 Jahr). Die Antwort: Aber da sehen so viele in ihre Handys! Komm wir fragen. Die Stimmung scheint zu drehen. Auf Gerüchte mag ich mich nicht verlassen. Ich klaube mein eigenes Handy hervor – wo sehe ich nach? Geduld habe ich jetzt keine. Weil es am schnellsten zu gehen scheint, rufe ich die mobile Website vom Schweizer Radio auf: „New York Marathon abgesagt“. Der DJ stellt die Musik leiser. Die Sportartikelausstellung beginnt sich schnell zu leeren. Gruppen von Läufern stehen vor den wenigen Bildschirmen mit Nachrichten. Wir verlassen die Halle. Auf der Strasse stehen einige Fernsehkameras und ABC-News macht Interviews.

Inzwischen habe ich mitbekommen, Michel Bloomberg, der Bürgermeister von New York und Mary Wittenberg, die Präsidentin der New York Road Runners hätten öffentlichem Druck nachgeben müssen, also ein politischer Entscheid. Es solle kein bitterer Nachgeschmack auf den Teilnehmern und dem Rennen bleiben. Ich bin ziemlich sauer, will aber mehr Informationen haben. Wir gehen diskutierend zurück zum Hotel und vereinbaren zusammen essen zu gehen. Gemäss Anschlag  vom Reiseveranstalter  gibt es andern Tags um 09:00 eine Infoveranstaltung.
 
Ich schaltet sofort den Fernseher ein – ABC News:  New York Marathon cancelled – das betrifft Teilnehmer aus der ganzen Welt: Australien, Switzerland, …,  Interviews: „Diese Schweizer Familie hatte soeben die Startnummern geholt. Sie wussten noch gar nicht, dass der Marathon abgesagt wurde. Wir haben es ihnen mitgeteilt und sie haben es zuerst nicht geglaubt. Wir mussten zuerst im Internet die Nachricht auf ABC-News zeigen. Sie hätten den Flug gestrichen. – Hey, die sind doch mit dem gleichen Veranstalter hier! Mary Wittenberg, die OK-Präsidentin, sieht auf den Fernsehbildern übernächtigt aus.

Beim Abendessen lockert sich die Stimmung, dann erstmals wieder auf. Wir wollen das beste aus der Situation machen. Die Gruppe, die sich am Samstagmorgen um 06:15 zum geplanten Morgenfooting trifft ist gross. Auch die Familie, die so prominent am Fernsehen zu sehen war, ist hier. Wir joggen in den beleuchteten Strassen zum Central Park und zurück. Der Park ist ausnahmsweise abgesperrt.

Später an der Infoveranstaltung erfuhren wir dann nicht viel mehr, als wir bereits wussten. Vor allem wurden die Information und die späte Absage kritisiert. So hätten auch die Reiseveranstalter die Absage zuerst über die Fernsehstationen erfahren. Später hörten wir, dass teilweise sogar Helfer bei den Infoposten bei der Startnummernausgabe die Nachricht zuerst über Läufer erfahren hätten. Alles in allem ein Muster, wie die Information nicht laufen sollte. Es zeigte aber auch, dass die Absage wirklich nicht mehr vorgesehen war. Am Sonntag werde der Reiseveranstalter für uns einen Longjog von ca. 26km durch New York organisieren.

Am Samstag begann nun jede Nachrichtensendung so: Zuerst die Folgen von Sturm Sandy, dann die Absage vom New York Marathon und erst dann die bevorstehenden amerikanischen Wahlen, vor allem die des Präsidenten. Offenbar hatte Hurricane Sandy gerade auch auf Statten Island viele Wohnhäuser zerstört. Einige Bewohner warteten noch immer auf Hilfe. Auch wurde mehrmals eine Frau gezeigt, die ihr Haus verloren hatte, die sagte, die Stadt würde besser den Opfern des Sturms helfen, als den Marathon durchzuführen. Das Geld für den Marathon würde besser anders ausgegeben. Auch der Einsatz von Stromagregaten für den Marathon wurde kritisiert. Es wurde versichert, dass keine Ressourcen für den Marathon eingesetzt würden, die für die Sturmopfer benötigt würden. Daraus entstand dann eine Kontroverse, ob der Marathon durchgeführt werden darf oder abgesagt werden muss.

Im Nachhinein war es wohl der richtige Entscheid, den Marathon dann doch nicht durchzuführen. Zwar war das viele Geld für den Marathon bereits ausgegeben, und helfen konnten in der Situation auch nur noch ausgerüstete Profis. Auch hätte die Laufstrecke nie ganz an zerstörten Gebieten vorbei geführt. Die Ressourcen für den Lauf wären bereit gewesen, aber es war unklar ab ob alle Opfer gefunden worden waren. Der Start des Marathons wäre auf Staten Island, für die meisten Läufer unbemerkt, in der Nähe der grössten Zerstörungen gewesen. Andererseits waren da sicher etliche Teilnehmer, die sich die Reise zum New York Marathon zusammengespart haben, und die sich ihren Traum von der Teilnahme am berühmtesten Marathon der Welt nicht mehr werden erfüllen können.

Am Sonntagmorgen um 7:30 trafen sich dann wohl die meisten Läufer, die mit unserem Veranstalter zum Marathon gereist waren zum angesagten Longjog über 26km. Wir brennen geradezu auf den Longjog. Zuerst rennen wir als grosse Gruppe den Broadway rauf, zum Columbus Circle und dann in den Central Park. Was im Park los ist, ist fast unbeschreiblich. Tausende sind da, alle wollen zum Marathon Ziel. Es wird fotografiert, es gibt Interviews in vielen Sprachen. Der Strom von Läufern hört nicht auf. Die Zahl der Läufer dürfte in die Zehntausende gehen; 47‘000 wären am Marathon gestartet. Wir teilen uns in 3 Gruppen auf. Es herrscht ideales Laufwetter, Sonnenschein, wolkenlos und auch der Wind ist nicht so stark wie erwartet. Unser Leiter kennt den Central Park. Er zeigt uns die Gedenkplatte für John Lennon „Imagine“ und das Gebäude wo er gewohnt hat. Dort wurde er auf der Strasse ermordet. Dann führt unsere Strecke weiter durch Harlem zum Hudson. Vor 20 Jahren hätten wir uns wohl nicht so ohne weiteres nach Herlem getraut, jetzt geht das gefahrlos. Am Hudson treffen wir auf 2 Reiseleiterinnen, die für uns einen Verpflegungsposten eingerichtet haben. Als wir dem Hudson entlang weiterrennen, kommen unsere beiden andern Gruppen entgegen. Wir sehen sie früh und machen jeweils die Welle. Längst hat sich Hochstimmung eingestellt. Bei der George Washington Brücke geniessen wir kurz die tolle Sicht und drehen um. Wieder bei unserem Verpflegungsposten gibt es jetzt jede Menge Mineralwasser. Es sei jemand mit einem Einkaufswagen voller Mineralwasser aufgetaucht und habe ganze Pakete davon abgeladen, mit dem Kommentar „it‘s for the runners“.  Zurück geht es durch Harlem, vorbei am Apollo Theater mit den Namen der berühmtesten Musiker auf Plaketten. Zurück im Central Park geht die Post ab. Tausende sind am Rennen, einige absolvieren offenbar ihren privaten Marathon in 7 Runden im Park. Die Zuschauer bieten Wasserfalschen an, sogar Becher mit Iso-Drink wurden aufgestellt. Runners High pur!

Am Dienstag waren die Amerikanischen Präsidentenwahlen. Natürlich warteten auch wir gespannt auf das Resultat. Am Morgen ging es aber zuerst in  einer ausgedehnten Runde rennenderweise durch den Central Park. Dann machten wir uns zu dritt auf den Weg in den Süden Manhattans. Der Spaziergang über die bekannte Brooklyn Brücke  bot tolle Blicke nicht nur auf Manhattan sondern auch auf andere Städte im Big Apple. Für uns besonders war verständlicherweise der Blick Richtung Verrazano Narrows Brücke, wo der Marathon gestartet wäre. Hier in der Gegend von Wallstreet sahen wir dann selbst die Spuren vom vergangenen Hurricane. Die Läden im Erdgeschoss waren geschlossen, unbeleuchtet und verschmutzt. Pumpen waren in Betrieb. Die U-Bahn-Linie funktionierte hier noch nicht. Leicht höher gelegen entdeckten wir eine gute Konditorei, die auch bei uns sein könnte. Hier wärmten wir uns auf und genossen ein paar Süssigkeiten. Die Zeiten wo man sich in New York nur von Junk-Food ernährte sind längst vorbei. Später genossen wir unser Abendessen im Drehrestaurant im 48. Stock  unseres Hotels.

Wegen den Wahlen hatten sich die grossen Fernsehanstalten an verschiedenen Orten der Stadt im Freien installiert. Beim Rockefeller Center, wo sich NBC installiert hatte, konnte ich mit einem kürzlich pensionierten Amerikaner sprechen. Es sagte gleich, alles hänge davon ab, ob es Amerika besser oder schlechter gehe, als vor vier Jahren. Was ich denken würde: Besser war meine Antwort. Er war der gleichen Meinung und war eher für Obama. Er meinte, dass wir wohl sehr lange auf ein knappes Resultat warten müssten. Einige Wähler seihen halt doch noch rassistisch beeinflusst. Für mich erstaunlich folgte dann noch der Nachsatz er hätte halt doch gerne einen Weissen Präsidenten. Dazu muss man wissen, dass in den USA lange die Nachkommen von protestantischen Einwanderern aus Europa vorherrschten. Das ändert sich jetzt. Die ehemaligen Minderheiten werden immer wichtiger, aktuell vor allem die Latinos und die Chinesen. Diese gesellschaftliche Veränderung muss verdaut werden. Mein Gesprächspartner hatte übrigens Schweizer Vorfahren und einen Schweizer Namen.

Im Drehrestaurant konnten wir die Wahlen auf eine etwas ungewöhnliche Art mitverfolgen. Der Turm zuoberst auf dem Empire State Building erleuchtete mit je einer blauen und einer roten Säule welche abhängig von den Resultaten in den Bundesstaten höher wurden. Blau für Obama und rot für Romney. Weil die kleinen und ländlichen Staaten konservatv wählen und schneller ausgezählt sind, stieg zuerst die „falsche“, also die rote Säule für Romney. Klar, dass wir als Europäer für Obama waren. Den positiven Wahlausgang für Obama erlebten wir dann auf Times Square, gleich bei unserem Hotel. Dort hatte sich CNN installiert. Gejubelt wurde vor allem für Obama, und wenn die Kamera von CNN das Publikum vom New Yorker Times Square zeigte. Auch ein paar der riesigen Leuchtreklamen waren zu Fernsehbilschirmen umgewandelt.

Wir hatten immer gutes aber kaltes Wetter. Für den Mittwoch, den Tag unserer Heimreise am Abend, hatte ich mit einer Läuferin den Besuch im Museum of Modern Art (MoMa) vereinbart. Das Wetter war jetzt richtig ungemütllich, nass und windig. Trotzdem standen viele Schlange, um den zur Zeit angesagtesten Kleiderladen in New York zu besuchen. Zum Glück war das nicht unser Ziel. Es fiel Schneeregen. Der vorhergesagte Wintersturm war da. Im MoMa ist das Bild „der Schrei“ von Munch zu sehen. Daneben,  „der Sturm“ auch von Munch. Das Bild zeigt ein Haus und  Personen draussen im Sturm. Mir gefällt besonders, wie das Licht leuchtend aus den Fenstern in die Dunkelheit strahlt. Der Sturm ist trotz der Nacht, an den Bäumen und Kleidern der Personen toll zu erkennen. Wir sahen auch die berühmte Pelztasse von Meret Oppenheim.

Durch ein Fenster des Museums war zeitweise heftiger Schneefall zu sehen. Plötzlich sagte mir meine Begleiterin, in New York würden Flüge gestrichen. Sie hatte ein SMS aus der Schweiz erhalten. Wie geht wohl unsere Reise weiter? Der Blick via Handy ins Internet zeigt viele gestrichene Flüge von New York nach der Schweiz. Weisst du die Flugnummer? Ja, LX15 – genau der ist nicht auf der Liste der gestrichenen Flüge. Wie wir später im Bus sassen, hatte es an exponierten Stellen bereits geschätzte 2 cm Schnee auf den Trottoirs. Die letzten Kilometer zum Flughafen JFK legten wir auf der weiss verschneiten Autobahn zurück. Falls der Flug inzwischen doch gestrichen wäre, würden wir gleich wieder zurück in die Stadt fahern. Es hiess immer noch, Abflug nach Plan um 21:05. Dann war unser Gate durch ein anderes Flugzeug blockiert, das wegen des schlechten Wetters zuerst nicht abfliegen konnte. Schlussendlich starteten wir mit 6 Stunden Verspätung morgens kurz nach 3. Es war für einen Tag der einzige Flug in die Schweiz. Wir hatten Glück, dass unser Flugzeug bereits in New York war. Später las ich, dass 1300 Flüge in New York und New Jersey gestrichen werden mussten. In der Stadt sollen 15cm und in der Umgebung bis 30cm Schnee gefallen sein. Dass wir uns am Flughafen Zürich noch ins Starbucks setzten, musste einfach sein. Wir erfuhren dann auch, dass einige sogar 2x umgebucht werden mussten.

PS: Die Medaille haben wir trotzdem erhalten. Sie hat Kult-Status, für den „schnellsten“ Marathon.

Zuhause habe ich mir den Song „Empire State of Mind“ von Alicia Keys mit dem Refrain „New York – New York“  angehört: Jetzt will ich wieder da hin, zum Marathon! Ich habe noch eine Rechnung offen - aller guten Dinge sind 3. Einige aus unserer Gruppe werde ich dann wohl wieder treffen.

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